DIE WAHRE BILD / DER WARE SCHEIN

 

So einfach es auf den ersten Blick scheint, die großflächigen Werke anschaulich zu vereinnahmen, so kompliziert erweisen sie sich auf den zweiten Blick. Wir sehen vergleichsweise einfache geometrische Formen - Kreise, Ellipsen, Rechtecke, Dreiecke - die zueinander in Beziehung treten.

 

Das Bild repräsentiert keinen wiedererkennbaren Sachverhalt, es gibt keine symbolischen oder andere erzählerische Bezüge. Malerisches wird erkennbar, wir sehen, dass es eine Farbbearbeitung gab. Aber die Farbe, die ja emotional wirken und damit wieder eine Art von Erzählung aufrufen kann, wirkt hier vergleichsweise neutral: grau, grünlich, helles Ocker, schwarz, bisweilen ein helles Blau. Die Farbe soll verschwinden, soll zurücktreten, soll Bestandteil des Objekts werden und keine eigene Sprachfähigkeit entwickeln.

 

Kann man sie überhaupt als Bilder ansprechen? Jaakov Blumas distanziert sich immer weiter vom Begriff des Bildes, definiert als dasjenige, das auf flachem, festem Material entsteht und in der Form zumeist dem Rechteck folgt. Blumas` Werke sind häufig in ganz anderen Umrissformen angelegt - und man sieht auch Arbeiten, die in den Raum hineingreifen, die sehr viel mehr Objekte als Bilder sind.

 

Bei den neuen Werken ist zu sehen, dass die Kanten auch bemalt, bearbeitet sind. Damit wird auch der Objektcharakter gestärkt: Das Bild ist normalerweise kompositionell über seine Begrenzungen vermittelt - hier werden die Ränder Teil des Werkes und nehmen auch mit solchen Eingriffen Distanz zum Begriff des Bildes.

 

Lassen Sie uns eine neue Arbeit genauer betrachten (hier fehlt der Titel, vllt. kannst Du ihn hinzufügen): Ein flüchtiger Blick lässt uns eine annähernd runde Form wahrnehmen, die aus vier Einzelteilen zusammengesetzt zu sein scheint. Aber je weiter man sich auf die Betrachtung einlässt, desto schwieriger wird es, die vormalige Sicherheit der Wahrnehmung erweist sich als trügerisch. So sieht man Formen, die sich in den Raum wölben, ein heller Reflex auf dem höchsten Punkt scheint der Wölbung zu entsprechen (so, wie das Licht auf den Dingen spielt...) - erweist sich aber als gemalt. Die Rückseiten der Formen sind auch bemalt - man sieht die Bemalung nicht, aber sie ist als Reflex, als farbiger Schatten auf der Wand präsent.

 

Das heißt, nicht nur die Formen entziehen sich der problemlosen Vereinnahmung - auch das Immaterielle, der Schatten, das Ungreifbare wird zu einem Bestandteil des Werks.

 

In der Renaissance waren Schatten die Verweise auf feste Körper, die sich plausibel im Raum bewegten, hier werden sie Teil der  produktiven Irritation, werden programmatischer Teil der uneinlösbaren, uneinnehmbaren Gestalt des Werkes. Der Schatten ist kein DING, er hat keine feste Gestalt, aber er gehört dazu - er erhält Präsenz in der Wahrnehmung.

 

Blumas begreift das Werk nicht als endgültig, final, als dauerhaft in sich abgeschlossen. Sein Werkbegriff bezieht das potentiell Unabschliessbare mit ein - auf seiner Website kann man kurze Clips sehen, in denen Blumas die einzelnen Teile, aus denen die Arbeiten zusammengesetzt sind, nimmt und immer wieder neu zusammenstellt. Das Werk ist quasi mobil - hier zeigt sich bereits schon eine Ebene, auf der wir als Betrachter Koproduzenten sind

 

Aber dass wir die einzelnen Teile neu zusammenfügen können ist es nicht allein, was die  Betrachtenden zu Mitakteuren macht. Die Bilder sind abhängig von äußerer Wahrnehmung - da keine Geschichten erzählt werden, da die Betrachtenden keiner vorgegebenen Botschaft mehr untergeordnet werden, werden wir fortwährend zu einem konstitutiven Umgang mit dem Werk aufgefordert. Es gibt keine externen Bezugspunkte mehr, das Bild verweist auf nichts - nur auf sich selbst. Seine ihm eigene Wirklichkeit muss unausgesetzt im Akt des Betrachtens erzeugt werden, will immer wieder neu hergestellt werden.

 

Blumas hat selbst einen interessanten Vergleich gefunden: Er beschreibt seine Bilder zunächst wie ein Verkehrsschild: unmittelbar verständlich, unmittelbar einprägsam - und dann wie eine Baumkrone: transitorisch, ungreifbar, sich vor den Augen der Betrachtenden fortwährend verändernd. In diesem eigenwilligen Spannungsfeld erhalten die Werke ihre spezifische Präsenz.

 

Darüber hinaus: Blumas erzählt gern, dass Magrittes berühmtes, hintersinniges Bild "Dies ist keine Pfeife"  für ihn große Bedeutung hat. Das Bild trägt eigentlich den Titel "Der Verrat der Bilder". Und das ist hier genau der Punkt: Der dargestellte Gegenstand wird verbal widerrufen - und damit wird  der Schein, die sprachliche Vereinbarung deutlich. Wir reden, indem wir über Bilder sprechen, fortwährend über etwas, das gar nicht da ist, das mit unserem üblichen Instrumentarium gar nicht benannt werden kann. Magritte zwingt Betrachtende zu einer Reflexion darüber, was die Realität eines Gegenstandes überhaupt sei. Die Sicherheit der Orientierung, die Verlässlichkeit des Gewohnten schwindet, es kommt zu einer Reflexion über Kunst und Wahrnehmungsbegriffe.

 

Jaakov Blumas Werke wiederum gehören der Wirklichkeit des Kunstwerkes an.

 

Gabriele Himmelmann, 2017

 

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