Eidetische Schwingungen
Wenige, untereinander verbundene Grundformen, - Kreise, Kreissegmente, Ellipsen, Rechtecke oder Dreiecksformen, bedingen in den Bildern von Jaakov Blumas eine vielfach geschlossen wirkende Komposition. Geometrisch hergeleitete Segmente lösen mitunter das vorgegebene Bildgeviert auf. Sie kragen in das sie umgebende Wandfeld aus und erkennen darin nicht nur einen kompositorischen Resonanzraum, sondern sie binden die reale Betrachterebene in das Bildgeschehen ein. Konstruktionslinien können den optisch dominierenden Formen weitere Ebenen hinzufügen und ein rational nicht länger zu durchschauendes Konstrukt erzeugen. Schallwellenartige Linien vermitteln die Vorstellung als würden bestimmte, kreisrund angelegte Bildformen Energien abstrahlen. Ein Eindruck, der durch die Art der konzentrisch aufgetragenen Farbe wie durch eine sfumatohafte Licht- bzw. Schattenbildung noch einmal intensiviert wird. Gerade dadurch glaubt der Betrachter nicht selten, dass sich die Scheibenformen mit rasanter Geschwindigkeit unter dem Einfluss nicht länger benennbarer Kräfte drehen. Eine kinetische Konstellation, die gebührenden Abstand einfordert, jede haptische Anmutung kategorisch ausschließt und die visuell begründete Erfahrung absolut setzt.
Weitere Bilder zeigen eine durch gleiche Formelemente vollflächige ausgefüllte und ebenmäßig angelegte kompositorische Anlage, wobei der visuell begründete Eindruck durch den Gegensatz zwischen statisch-geometrischer Struktur und der mit dem Rakel linear gefurchten, in ihrer optischen Wertigkeit deutlich zurückgenommenen Farbe bestimmt wird. Gleichwohl initiiert Blumas den Eindruck optischer Tiefe. Andere Bilder wiederum geben eine gleichmäßig angelegte Wellenbewegung vor, die lediglich durch den Bildrand beschnitten ist und deren linear bestimmte Struktur durch die Art des die Formen überstreichenden Farbauftrages in ihrer optischen Präsenz zurückgenommen werden können. Malerei definiert sich demnach nicht länger als autonom ausgeführte Geste, sondern sie stellt sich in den Dienst einer vorgegebenen Ordnung.
Ein Momentum drängt in diesem Zusammenhang geradezu demonstrativ in den Vordergrund: Die Rede ist von einer nicht mehr euklidisch gebundenen Erfahrung von Raum. Dieser hat zuvorderst seine vermeintlich angestammte Konstitution respektive seine Schwerkraft verloren, wodurch sich eine unüberbrückbare Distanz zwischen dem Bildformen und dem Betrachter auftut. Jeglicher aus dem Axiom der Zentralperspektive hervorgehender Illusionismus erscheint von vorn herein ausgeschlossen.
Vermitteln die Bilder von Jaakov Blumas auch den entschieden vorgetragenen Eindruck des Realen, so beharren sie im Gegenzug auf einer eigenen, dem Betrachter sich entziehenden, ihm letztendlich fremd bleibenden Bildwelt. Es ist der Blick von außen auf eine in ihrer Disposition eindeutige Konstellation, die in ihrer formalen Abgeschlossenheit, trotz vermeintlicher Nähe, eine optisch begründete Undurchdringlichkeit vorgibt, sich von vorn herein möglichen, von außen angetragenen Erklärungsmustern verweigert und, in letzter Konsequenz, auf emotionaler Distanz besteht.
Dabei bedient sich Blumas großflächiger, leicht einsehbarer Formen, die im Plastisch-Räumlichen noch immer einen Wert erkennen, wenngleich er diesen nicht länger aus haptisch-taktiler, sondern vielmehr visueller Erfahrung heraus begründet. Im Gegenzug wird jedwede dekorative Wirkung, d. h. die Leitidee eines formalen oder farblichen Zusammenhangs, von vorn herein ausgeschlossen. In der Art ihrer ausholend-selbstbewussten Inszenierung verweigern sie sich der Vorstellung von einer bildnerischen Stellvertretung. Ein allegorischer oder symbolischer Bezug ist ausgeschlossen. Weder dienen die Bildformen der gleichnishaften oder sinnbildbildlichen Darstellung eines abstrakten Begriffes noch der Veranschaulichung eines tieferen, bedeutsamen Inhaltes. Dennoch eröffnet der herausgehoben gegenwärtige Grad der kompositorischen Anlage, die keinem fremden und bereits vorhandenen Zusammenhang zugeordnete werden kann, zumindest die Möglichkeit, dass daneben noch etwas anderes existieren oder aber, dass dieses Gebilde so irgendwo anders stehen könnte.
Zielt Blumas auch auf eine Schematisierung des Bildes, so unterliegt sie keineswegs dem Verdikt eines Selbstzwecks. Zwar findet er Formen, die in ihrer Zusammenstellung ein ebenso komplexes wie selbstreflexives Gebilde beschreiben, doch wahren sie noch immer geradezu demonstrativ eine Relation zu gesehener Wirklichkeit. Unabdingbar muss Blumas daher auf die Einbildungskraft des Betrachters vertrauen. Ihn setzt er nunmehr zuvorderst einer visuell begründeten, changierenden, letztendlich begrifflich nicht fassbaren Konfliktsituation aus. Indem er das Gewusste respektive das Vermutete oder das Mögliche formalisiert, fördert er die Rationalisierung des Bildes hinsichtlich Einbildungskraft des Betrachters und vertraut doch zugleich auf dessen sinnliches Erfahrungspotential.
Die Erfahrung von Nähe und Weite, von geschlossener und offener Form, von Fläche und tatsächlicher, bildgebundener Wölbung entspringt einem gemeinsamen, optisch begründeten Nucleus. Dieser wehrt sich jedoch gegen formale wie gegen inhaltlich begründete Festlegungen und nimmt eine fast tranceartig anmutende Zwischenposition ein. Sie zwingt den Betrachter, sich fortgesetzt die besonderen Bedingungen bezüglich der Erfahrung von Realität zu vergegenwärtigen.
Daraus leitet sich ein bildnerisches Verständnis ab, das Jaakov Blumas zur eigentlichen Grundlage seiner künstlerischen Arbeit erklärt: Die Begegnung zwischen sinnlicher Erfahrung von Wirklichkeit und dessen vergröbernd zeichenhaft-eingeschränkter Vermittlung vor dem alles durchdringenden Wissen um deren relativen Aussagegehalt.
Nach eigener Aussage lässt sich seine Bildkonzeption auf zwei antipodisch-konkurrierende Phänomene zurückführen, nämlich auf die Beobachtung einer Baumkrone und auf das einfache Information vermittelnde Straßenschild.[i] Mit diesem verbindet er die Fähigkeit, einen nüchternen Sachverhalt möglichst rasch und eindrücklich zu erfassen, während die Baumkrone für eine lang anhaltende, für eine letztendlich unbegrenzte Spannung zwischen der Natur und ihrem Betrachter einsteht, wobei sie sich in ihrem Erscheinungsbild immer irgendwie anders und faszinierend gibt.
Nachdem Blumas zu Beginn seiner Laufbahn als Künstler naturanhängig-entschleunigte Bilder gemalt hat, rückte die Frage, ob diese Bilder als Artefakte überhaupt existieren, wenn sie nicht vom Publikum gesehen werden, alsbald in den Mittelpunkt seines künstlerischen Interesses. Noch drastischer formuliert: Werden sie womöglich vernichtet, wenn der potentielle Betrachter achtlos an ihnen vorüber geht?
Das Bild entsteht demnach erst im Kopf des Betrachters. Es ist abhängig von äußerer Wahrnehmung und ist das Resultat aus einer Koproduktion. Da ist auf der einen Seite der Maler, der das Bild auf den Weg bringt, und der es schließlich, auf Grund von Überlegungen, Intuition und handwerklichem Können, in eine für ihn gültige Form bringt. Und da ist auf der anderen Seite der Rezipienten, der die Bereitschaft aufbringt, das Bild als solches zu erkennen und wert zu schätzen. Erfüllt eine der beiden Parteien ihren Part nicht, bleibt das Bild stumm. Es wird entweder verworfen und / oder nicht beachtet. Ein gutes Bild ist im Umkehrschluss nach Jaakov Blumas eines, das beiden Erwartungshaltungen zu entsprechen vermag. Um dem Genüge zu leisten, muss es eine rezeptive Bewegung auslösen. Will heißen: Ein Bild eröffnet dem Betrachter aus sich heraus zu verschiedenen Zeiten neue, unbekannte Aspekte.
Das verlangt Weile und intuitive Offenheit. Ein Unterfangen, das nach Aussage des Künstlers nur gelingen kann, wenn das Bild seine mimetischen Ansprüche aufgibt. Es reiht sich nicht länger in einen vorgegebenen Bedeutungsgehalt ein und kommentiert diesen auch nicht.
Daher ist es wenig verwunderlich, dass die Bilder von Jaakov Blumas weder im Formalen noch im Inhaltlichen ein verbindliches Zentrum vorgeben, und dass sie folglich auch auf keiner Bedeutungshierarchie bestehen. Diese Bilder erscheinen dem Betrachter stets ein Stück voraus zu sein, obwohl sie auf den sprichwörtlich ersten Blick einfach und eindrücklich anmuten. Ein fortgesetzte Unruhe stiftender Balanceakt zwischen perzeptiver Bindung und deren Brechung mit dem Ziel der bewussten Nähe zur Wirklichkeit.
Die Aufgabe des Malers besteht darin, diese Elemente in eine strukturelle Ordnung zu bringen, immer wieder anders und immer wieder mit überraschenden Resultaten. Deren Bewertung bezeichnet einen Zustand, in dem Wirklichkeit nicht länger als unumstößlicher Tatbestand vorgegeben ist. Wirklichkeit generiert sich als offen gestalteter, unberechenbarer Prozess und sie bedingt, dass sich der Betrachter unumwunden auf sie einlässt. Die Ästhetik seiner Bilder erfordert in der Diktion von Jaakov Blumas, „auf unbekannten Straßen zu unbekannten Kreuzungen zu gelangen, an denen wir verweilen oder uns noch einmal auf den Weg machen“. Im Angesicht der Bilder von Jaakov Blumas tun wir das eben nicht aufs Geradewohl, sondern ebenso konzentriert wie bestimmt und im Wissen um unsere Möglichkeiten.
Uwe Haupenthal, 2014
Summary
A few basic, interconnected forms – circles, circular segments, ellipses, rectangles and triangles – in the pictures of Jaakov Blumas serve to create compositions that seem cohesive in many ways. Geometrically derived segments often dissolve the rectangular format of the painting. They project into the area of the surrounding wall and, in doing so, not only explore a compositional space of resonance but also incorporate the level of actual observation into the narrative of the image. Construction lines are able to add further levels to the optically dominant shapes and so generate a construct that can no longer be understood rationally. Lines reminiscent of sound waves create the impression that certain round pictorial forms are emitting energies. This feeling is further intensified by the way the paint is applied concentrically, as if in a sfumato-type creation of light and shadow. This can often lead the observer to believe that the disc-like forms are revolving as a furious speed under the influence of forces that can no longer be named. It’s a kinetic constellation that requires one to adopt an appropriate distance, categorically rules out any element of the haptic and puts the emphasis firmly on visually based experience.
Other pictures present a compositional structure in which the entire surface is filled by evenly applied elements in which the visually based impression is determined by a contrast between a static-geometric structure and paint applied in linear striations with the palette blade and that possesses a clearly lower aesthetic appeal. Then again, other pictures feature an evenly applied wavelike motion that is interrupted only by the edge of the picture, with a linear-dominated structure whose optical presence may be dampened by the way the paint is applied over the forms. In this way, painting is no longer defined as an autonomously executed gesture but instead is subordinated to a predefined order.
In this context, a particular momentum demonstratively takes centre stage: an experience of space that is no longer bound to the Euclidian. First and foremost this has lost its supposedly traditional constitution or indeed its gravity, and this leads to an insurmountable gap between the pictorial forms and the observer. Every kind of illusionism generated by the axiom of the central perspective seems to be excluded right from the start.
While the pictures of Jaakov Blumas also communicate the decisively presented impression of the real, they balance this out with their own pictorial world that eludes the observer and ultimately remains strange to him. We are presented with an external view of a constellation that is clear in its disposition, that – despite apparent closeness – in its formal self-containment presents an optically based impenetrability. Right from the start it refuses any possible, externally imposes explanations and, ultimately, insists on emotional distance.
At the same time Blumas employs large-scale, easily visible forms that, in their plastic-spatial nature, still recognize a value, even if this is no longer based on haptic-tactile qualities but instead on more visual experiences. On the other hand, any decorative effects, i.e. the guiding concept of a formal or colour-based cohesion, are banished from the start. In their sweeping, self-confident mise-en-scène they refuse the idea of a figurative representation. An allegorical or symbolic relationship is ruled out. The pictorial forms serve neither the emblematic or allegorical portrayal of an abstract term nor the illustration of a deeper, meaningful content. Nonetheless the striking and undeniable development of the compositional structure, which cannot be related to any external and previously existing relationship, does at least present the possibility that something else may exist alongside it, or that this entity might also be found in this form somewhere else, too.
While Blumas also aims for a schematization of the image, this certainly cannot be judged an end in itself. He discovers forms that, in their composition, create an entity both complex and self-reflective, but they still retain an almost demonstrative relationship with seen reality. So, inevitably, Blumas has to trust the imaginative power of the observer. This observer is thus confronted, first and foremost, with a visually based, oscillating, and ultimately logically ungraspable situation of conflict. Through the act of formalizing the already known, or the supposed or the possible, he promotes the rationalization of the picture in terms of the observer’s imagination and, at the same time, puts trust in his or her potential for sensual experience.
The experience of closeness and distance, of closed and open form, of surface and actual, picture-related curvature, derives from a common, optically based nucleus. However, this resists formal and content-related definitions and adopts an almost trance-like intermediate position. It forces the observer to constantly envision the special conditions regarding the experience of reality.
This leads to a pictorial understanding that Jaakov Blumas specifies as the true foundation of his artistic work: the encounter between the sensual experience of reality and the coarser, emblematic and limited transmission of the all-pervasive realization of its relative meaning. He himself says that his pictorial conception is derived from two antipodal, competing phenomena: observing the crown of a tree, and a street sign with its transmission of simple information.[i] He associates the latter with the ability to encapsulate a simple content as rapidly and impressively as possible, while the crown of the tree embodies a long-lasting and ultimately infinite tension between nature and its observer, whereby its appearance is constantly different in some way, and fascinating.
At the start of his artistic career Blumas painted nature-related, decelerated pictures, but then his artistic interest began to focus on the question of whether these pictures exist as artefacts at all if they are not seen by an audience. Formulated even more drastically: might they even be destroyed if the potential observer passes them by without paying them any attention?
In this concept, the image first takes shape in the observer’s head. It is independent of external perception and is the result of a co-production. On one side of the equation is the painter who begins to create the picture and ultimately, prompted by thought, intuition and craftsmanship, brings it into a form valid for him. And on the other side is the recipient who is prepared to recognize the picture as such and to appreciate it. If one or other of the parties does not fulfil his role, then the picture remains mute. It is either rejected and/or given no attention. In Jaakov Blumas’ corollary to this, a good picture is one that is able satisfy both expectations. In order to meet this condition it has to trigger a receptive motion. In other words, a picture can in itself open up new, unfamiliar aspects to the observer at different times.
This requires sufficient time and intuitive openness. Such a project, says the artist, can only succeed if the picture abandons its mimetic pretensions. It no longer subordinates itself to a preordained significance and does not comment on this, either. So it is no surprise that the pictures of Jaakov Blumas do not define a clear centre either in terms of form or of content, and that they thus do not insist on a hierarchy of meaning either. These pictures always seem to be one step ahead of the observer, even though they appear to be simple and striking at the proverbial first glance. It is a continually disruptive balancing act between perceptional attachment and its rejection of the goal of a conscious connection to reality. The task of the painter is to bring these elements into a structural order, in repeatedly different ways and with repeatedly surprising results. When one appraises this order, it points to a state in which reality is no longer defined as an indisputable fact. Reality generates itself as an open, unpredictable process and it demands that the observer should accept and engage with it frankly. The aesthetics of his pictures require one, says Jaakov Blumas, “to travel unknown roads to unknown crossroads, at which we linger or set off once more in a new direction.” When confronted by the pictures of Jaakov Blumas this is not something we do haphazardly, but instead in a manner both concentrated and determined and in the full knowledge of our own possibilities.