»Bilder sind wie Begriffe – Stuhl, Baum, Haus - mit einer Empfindung und einer Erfahrung gefüllt. Die Empfindungen kenne ich, die Begriffe nicht.« (Jaakov Blumas)

Wir stehen am Ende eines Jahrhunderts, in dem Künstler die Reduktion der Malerei bis zur Selbstauflösung betrieben haben, in dem mehrmals mit großer Konsequenz die »letzten Bilder« gemalt wurden und in dem Malerei manchmal einzig als Zitat über-leben konnte. Und doch gibt es immer noch Künstler, für die Malerei ein Weg ist, die sich ihre Aufgabe in der Organisation von Flächen und Linien mit Farbe und Leinwand stellen. Jaakov Blumas gehört zu diesen. Warum malt einer? Gelegentlich findet sich unter zeitgenössischen Malern die Haltung: Schließlich wurde immer gemalt - um sich die Welt anzueignen und als unmittelbarer Ausdruck menschlicher Sinnlichkeit; malen ist wie Sex, und der wird auch nicht unmodern. Eine Einstellung, die in ihrer Vitalität faszinieren kann. Mit der Haltung von Jaakov Blumas hat sie jedoch wenig gemeinsam. Nicht anders als großen Vorgängern – der Künstler schätzt besonders Runge, Marees und Matisse – geht es auch Blumas um malerische Wirkungen, etwa wenn in einem Bild der Glanz eines rötlichen Ockers durch die matten Lagen von Graphit und Oliv dringt (Umschlag), oder in einem anderen Preußischblau und Zitronengelb unter einem staubgrauen Schleier liegen und diesen zum Atmen bringen (Seite 22). Farben entwickeln sich in Blumas Bildern, entfalten ihre Präsenz und werden wieder von anderen Farben zurückgedrängt. Die Komposition in den Bildern von Blumas ist, nicht anders als in den Interieurbildern eines Matisse, keiner Hierarchie der Bedeutung unterworfen; jedes Detail, jeder Quadratzentimeter wird auf seine Notwendigkeit im Bildganzen hinterfragt und muß sich in diesem Rahmen bewähren. Sonst wird über-malt. Doch wenn für Matisse der Aufbau seiner Kompositionen auf einer Wirklichkeit gründet, die dem Maler bei der Anlage des Bildes vor Augen stand und dem Betrachter immer nachvollziehbar bleibt, baut Blumas die Struktur seiner Gemälde aus dem Ungegenständlichen auf.

Jaakov Blumas ist abstrakter Maler. Blumas Ausgangspunkt ist eine formale Idee, die nichts mit Figur, Landschaft oder Gegenstand, nichts mit den Dingen unserer täglichen Erfahrung zu tun hat. Ein Maler wie Georg Baselitz baut seine Gemälde gegen den Widerstand der figurativen Vorlage auf und braucht, um sich in malerischer Freiheit von der Bindung an die Figur zu lösen, gerade deren Gesetzmäßigkeiten. Jaakov Blumas operiert im vergleichsweise luftleeren Raum, in einer Schwerelosigkeit, die ihm die Chance des tatsächlich neuen, nie gesehenen Bildes einräumt, und gleichzeitig die Reibungsfläche einer Wirklichkeit außerhalb des Gemäldes vorenthält. Seine Wirklichkeit findet im Gemälde statt. Blumas baut sich dort die Widerstände selbst auf, die seine Bilder zum Wachsen bringen. »Ich versuche nicht zu abstrahieren, ich organisiere«, sagt Blumas über seine Vorgehensweise. Doch die Organisation der Bildteile findet im Ungegenständlichen statt. Ein Maler, der organisiert, kanalisiert die impulsiven Kräfte. Und so hat die Malerei von Blumas auch nichts mit informeller Kunst oder wilder Malerei zu tun. Seine Bilder sind nie gestisch und expressiv, sondern gebaut. Jeder Strich ist eine Entscheidung, jedes Bildelement ist überlegt und vorbereitet. Jaakov Blumas ist abstrakter Maler, trotzdem. In der Geschichte der abstrakten Kunst taucht immer wieder die Dichotomie zwischen dem Bild als Vehikel geistiger Inhalte und dem Bild als autonomem Objekt einer eigenen, autarken Wirklichkeit auf. Einerseits haben seit Kandinsky und Malewitsch Maler gerade in der ungegenständlichen Kunst immer wieder versucht, neue geistige Räume zu erschließen, ihre Malerei einer neuen transzendenten Dimension zu widmen. Selbst Malewitschs schwarzes Quadrat war in seiner ikonenhaften Strenge für den Maler keine radikale Verweigerung, sondern eine Brücke in eine andere Welt. Andererseits haben Künstler wie Malewitschs Gegenspieler Tatlin, später Ad Reinhardt, Frank Stella oder Robert Ryman im Gemälde die autonome Präsenz ohne Bezüge auf eine übergeordnete Wirklichkeit behauptet.

Um Blumas der ersten Gruppe zuzuordnen, fehlt jeder Ansatzpunkt: Seine Formen enthalten sich aller inhaltlichen Anspielungen; die Titel seiner Gemälde waren bislang sachlich und ohne inhaltliche Aufladung die jüngsten Bilder bleiben vorerst ganz ohne Namen; die Äußerungen des Malers kreisen darum, was ein gutes Bild ausmacht, wie die Entwicklung im Bild vonstatten geht und wann ein Bild schließlich stimmt. Geht man von dem Modell der Dichotomie aus, so müßte man Blumas also eher der zweiten Gruppe zuordnen. Den Boden für diese Form der reinen Malerei schufen Maler wie die Nabis oder die Fauves – allen voran Henri Matisse. Sein Zeitgenosse Maurice Denis hatte das Bestreben dieser Maler auf den Punkt gebracht, als er sich klarmachte, daß ein Bild – bevor es ein Schlachtroß, ein Akt oder eine Anekdote darstellt – vor allen Dingen eine flache Oberfläche ist, auf der sich Farben in einer bestimmten Anordnung befinden. Damit waren, auch wenn Maler wie Matisse oder Denis immer den Akt oder das Interieur für ihre Bilder brauchten, doch die Parameter festgelegt, innerhalb derer sich die Malerei des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelte. Eine Gruppe von Künstlern, die aus der abstrakten Kunst eine konkrete zu machen suchte, formulierten den Autonomieanspruch ihrer Malerei ganz in diesem Geiste: »Das Gemälde sollte vollständig aus rein plastischen Elementen konstruiert sein, das heißt aus Flächen und Farben. Ein bildnerisches Element hat keine andere Bedeutung, die über dieses hinausginge, infolgedessen hat das Gemälde keine andere Bedeutung als sich selbst.« Diese 1930 veröffentlichte Passage aus dem Manifest der Gruppe »Art Concret« bringt das Credo einer unmetaphysischen abstrakten Kunst zum Ausdruck, die auf beiden Seiten des Atlantiks für eine lange Zeit den Ton angeben sollte. Nicht wenige Künstler legten ihrer Malerei enge konstruktive Systeme auf, reduzierten die bildnerischen Mittel bis zum äußersten – und wieder sind schwarze oder weiße Quadrate das Resultat, diesmal allerdings ohne die Metaphysik eines Malewitsch.

Blumas reflektiert die Entwicklung der abstrakten Malerei; auch er sucht den Halt, den die Reduktion geben kann. Gleichzeitig jedoch bricht er die Systeme auf, indem er den Gegenpol aller Reduktion mit ins Spiel bringt: das Ornament. Seine Gemälde entstehen im Dialog zwischen diesen beiden Kräften, zwischen Weglassen und Ausschmücken. In einem seiner Bilder zitiert Blumas das tragfähige System, auf dem Frank Stella eine Reihe seiner konsequentesten Gemälde aufbaute, die Streifenlagen mit ihren linearen Zwischenräumen (Seite 6). Doch Blumas kehrt das rigide System ins bewegte Ornament um. Das System ist Stütze, nicht Diktat.

Vielleicht könnte man Blumas in diesem Punkt mit seinem nahezu gleichaltrigen amerikanischen Kollegen Philip Taaffe vergleichen. Taaffe griff in den achtziger Jahren verschiedentlich Schlüsselwerke der Moderne auf und kommentierte sie in seinen Gemälden. So antwortete er auf Barnett Newmans legendäre Frage Whose afrdid of red, yellow and blue? mit einem Farbfeldgemälde, bei dem er Newmans »Zips« durch illusionistisch wirkende gedrehte Kordeln ersetzte. Greifbar scheinende Elemente verwandeln das System des Erhabenen zum kostbaren Ornament. We are not afraid lautet Taaffes kecke Antwort. Sperriger und zugleich zurückgenommener sind die Ornamentzitate in den Gemälden von Blumas. Gegen den rauschhaften Glanz, den Taaffe in seinen Bildern entwickelt, geht Blumas nachdrücklich an, doch gemeinsam ist beiden Malern die tief gründende Skepsis gegenüber dem Allmachtanspruch der konsequenten Systeme.

»Die Empfindungen kenne ich, die Begriffe nicht.« Blumas Bilder behaupten sich ebenso gegen die Forderungen traditioneller Malerei wie gegen die Parameter der Avantgarde. Seine Bilder unterliegen einer ständigen Auseinandersetzung mit Systemen – ein Dekonstruieren von Ordnungen. Malen heißt für Jaakov Blumas opponieren und weiterentwickeln. Jedes Bild wird bestimmt von einem zähen Ringen der Kräfte.

Fließende Bewegungen beginnen sich zu entwickeln und werden im gleichen Moment durch einen Strich, eine sperrige Fläche gebremst. Ein serieller Rhythmus hebt an, doch umgehend wird er blockiert. Schimmerndes Licht und kostbar anmutende Brillanz blitzt auf und wird im gleichen Augenblick unter Erdtönen und mattem Bitumen gedämpft. Die Wärme von Terrakottatönen beginnt sich kaum zu entfalten, schon wird sie mit weißlichgrauer Kälte zurückgedrängt. Blumas Bilder sind Fallen: Die Kugel-formen in manchen Bildern etwa legen durch ihre pralle Plastizität eine Räumlichkeit nahe. Will der Betrachter jedoch in diesen Raum vordringen, so schlägt ihm die Fläche vor die Stirn, hält ihn auf Distanz (Seite 11 und Seite 25). Die Malerei macht auf diese Weise ganz konträre Wahrnehmungen gleichzeitig möglich – anders als bei Film und Performance wird die Zeit und das Tempo dabei einzig durch den Betrachter bestimmt.

Eine seltsame Lineatur ragt von oben ins Bild: ein Ständer, ein Gerüst, ein schmiedeeisernes Geländer (Seite 13). Zunächst scheint es, als schwebe das Liniengebilde vor dem malerisch durchbrochenen Grund, doch die Linien des Gerüstes zeichnen sich unter den braunen Bögen ab und verschleifen so Figur und Grund. Eine Regelhaftigkeit, die dem Betrachter Orientierung versprechen könnte, entzieht sich dadurch. Wird das Dreieck im oberen Teil dieses Bildes von solchem Wechsel zwischen malerisch Amorphem und zeichnerischer Linie bestimmt, so erscheint die untere Hälfte wie ein Gegenbild. In Verlängerung der flachen Segmente und Linien bläht sich ein praller Ballon mit plastischen Luftkammern. Darunter formiert sich ein Zug von kurzen Strichen, ein Teppich, der in seinem Muster die Richtung der Mitteldiagonale aufnimmt und doch, ähnlich wie das Gerüst am oberen Rand, zwischen den Bildebenen wechselt. Alle Bildelemente des unteren Dreiecks wirken wie ein Echo auf das obere - ein Echo allerdings in einer anderen Sprache.

Es ist dieser stetige, oft abrupte Wechsel der Sprachen, der die Gemälde von Jaakov Blumas auszeichnet. Eine geheimniseolle Erzählung (Erdtöne und manche Ornamente lassen an ein orientalisches Märchen denken) beginnt in einer fremd klingenden Sprache, und gerade dann, wenn die Handlung in Gang kommt, wechselt der Ton, wechselt die Stimme, und die Geschichte wird in einer anderen Sprache fortgesetzt. Blumas entwickelt eine Ordnung im Bild, stört diese jedoch sogleich durch den nächsten Schritt, unterstützt sie und arbeitet gegen sie. Es gibt axiale Entsprechungen, den Rhvthmus gleichmäßiger Wiederholungen, Reihen und Synkopen.
Die unterschiedlichsten Bildkonzepte treten an, um das Bild in Spannung zu bringen. Solchem Wechsel haftet in Blumas Malerei jedoch nichts Kokettes an. Es ist keine Attitüde, kein postmodernes Spiel der Möglichkeiten, sondern bedeutet ein mit großer Ernsthaftigkeit ausgetragenes Ringen um die Möglichkeit des gültigen Bildes. Blumas kreist in seinen Gemälden immer wieder um Harmonie – und arbeitet doch gleichzeitig gegen sie. Er hält die einzelnen Energien mit starker Hand zusammen, balanciert die Kräfte des Bildes aus, verläßt das Gemälde jedoch nicht, wenn es im Gleichgewicht ist. Er geht immer noch den nächsten Schritt, der die gefundene Harmonie wieder aufhebt. Ein Gemälde ist damit keine einmal gefundene Entität, sondern ein Dialog zwischen den malerischen Möglichkeiten: Finden, Erfinden, Realisieren und Weitergehen.

Christoph Heinrich, 1997

 

 

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